Gedankenaustausch mit Ortlieb-Geschäftsführer Dr. Dieter Simpfendörfer -
Razavi: „Beim Flaschner, Elektriker oder in der Industrieproduktion vor Ort zu schaffen, das muss wieder einen guten Klang bekommen. Wir sägen selbst an dem Ast, auf dem wir sitzen.“
Nicole Razavi MdL, Dr. Dieter Simpfendörfer "Wir brauchen ein Umdenken in der Gesellschaft - Mittelstand und Handwerk müssen wieder Zukunft haben und mehr Anerkennung finden“, fordert die CDU-Landtagsabgeordnete Nicole Razavi nach einem Treffen mit Ortlieb-Chef Dr. Dieter Simpfendörfer. Es werde immer schwieriger, gute Fachkräfte zu finden. „Die Karawane aus den Schulen in Richtung Universität wird immer breiter, und immer weniger gute Schulabsolventen wollen eine Ausbildung in Handwerk und Industrie machen. So wird unseren Hidden Champions im Land bald der qualifizierte Nachwuchs ausgehen, wir sägen selbst an dem Ast, auf dem wir sitzen“, so Razavi weiter.
Dieter Simpfendörfer sagt: „Schaffen mit der Hand am Arm, das muss wieder einen guten Klang bekommen. Wenn wir hier nicht umsteuern, wachen wir eines Tages auf und das Traggerüst unseres Wohlstands in Baden-Württemberg, der starke Mittelstand, wird nur noch eine bessere Ruine sein.“ Der traditionsreiche Präzisionsteilehersteller Ortlieb war 2017 von Kirchheim/Teck nach Zell unter Aichelberg gezogen und beschäftigt heute 80 Mitarbeiter. „Wir sind an unserem neuen Standort sehr freundlich aufgenommen worden“, lobt der promovierte Ingenieur. Die Auftragsbücher seien voll, der Jahresumsatz klettere, die Firma habe genügend Freifläche, um die Produktionsleistung weiter zu erhöhen. Zufrieden ist der Unter-nehmenschef aber trotzdem nicht. Er zahle sehr gut, finde aber keine gut ausgebildeten Leute mehr.
„Das darf so nicht bleiben“, sagt Nicole Razavi MdL. „Wir haben ein Duales Ausbildungssystem, um das uns viele Länder beneiden. Wir haben den Bedarf. Aber wir haben ein Imageproblem. Alle wollen studieren, viele brechen ab, sind dann frustriert und erst einmal orientierungslos. Dieter Simpfendörfer ergänzt: „Das müsste nicht sein. Handwerks- und Industrieberufe sind nicht nur solide und gut bezahlt, sondern auch anspruchsvoll. Ein Zerspanungsmechaniker bei uns hat die Hand heute nicht mehr nur am Werkzeug, sondern ähnlich wie ein Pilot auch am Touchpad eines hochkomplexen Gerätes. Er muss die Maschine bedienen, rüsten und programmieren können. Zudem sind seine organisatorischen Fähigkeiten, z. B. bei der Belegung der Maschine mit Aufträgen, gefragt. Gerade für solche anspruchsvollen Produktionsaufgaben suche ich händeringend gut ausgebildete Leute, am besten mit Abitur, und finde keine.“
Razavi: „Als rohstoffarmes Land müssen wir Wissenschaft und Forschung fördern, aber was nützen uns die guten Akademiker, wenn irgendwann keiner mehr da ist, der die Geräte und Maschinen in den Instituten, Laboren, in unseren Firmen bedienen kann, der Infrastruktur baut und instand hält. Das sind Berufsbilder, die wieder mehr Anerkennung und Wertschätzung brauchen. Es muss wieder einen guten Klang haben, zu sagen, man schafft in der Produktion eines Unternehmens oder beim Schreiner, Flaschner, Elektriker im Ort.“
Dieter Simpfendörfer bereitet noch etwas anderes Sorge. Vor kurzem hatte er einen neuen Mitarbeiter in der Produktion eingestellt. Vier Wochen später räumte der Mann seinen Spind aus und ging wieder, ohne erkennbaren Grund. Loyalität zum Unterneh-men und Anstand hätten deutlich abgenommen. Stattdessen grassiere der Werteverfall. „Da hat sich etwas verändert. Verlässlichkeit war ein Markenzeichen unserer Wirtschaft“, sagt Nicole Razavi MdL abschließend, „das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. In Teilen geht es uns wohl zu gut, wenn solche Verhaltensweisen um sich greifen“.